Erstmals in Faszination Bibel 03/2019 erschienen
Heiraten und Liebe - das gehört in vielen Kulturen längst nicht so eng zusammen wie gegenwärtig bei uns. Eine Ehe aus Zuneigung wird im Altertum vermutlich ein Glücksfall gewesen sein. Man heiratete nicht unbedingt aus Liebe. Aus diesem Blickwinkel ist Palti Ben-Lajisch wohl ein Glückspilz: Er hängt in Liebe an seiner Frau und kann sich nicht vorstellen, von ihr getrennt zu werden. Als genau dies dann geschieht, ist er ein Mann mit gebrochenem Herzen.
Dabei hat er seine Frau zufällig kennengelernt, durch einen machtpolitischen Schachzug und ob er sie heiraten will, danach wurde er gar nicht gefragt. Der König gab ihm diese Frau und fertig. Im Hintergrund steht die Rivalität zwischen König Saul und David
Michal: Von einem Mann zum anderen
David ist als junger Mann an Sauls Hof gekommen. Er wird dem König aber bald unheimlich, weil er in allem Erfolg zu haben scheint. Auch Sauls Tochter Michal bemerkt David bald - und verliebt sich in ihn. Saul ist das recht, er spinnt sogleich einen perfiden Plan: David kann sie zur Frau bekommen. Er muss einen hohen Brautpreis zahlen. Er soll 100 feindliche Philister erschlagen und als Nachweis Trophäen bringen. Sauls Kalkül: Das wird David nicht schaffen, er wird getötet werden und der Rivale ist so beseitigt. Doch David ist erfolgreich, er heiratet Michal und wird so zum Schwiegersohn des Königs.
Die Feindschaft zwischen Saul und David ist damit aber längst nicht vorbei. Saul stellt seinem Schwiegersohn nach und will ihn zur Strecke bringen. Michal täuscht die Verfolger und David kann fliehen. Seitdem streift er als Flüchtling im Lande herum. Die Eheleute sehen sich vermutlich von da an nicht mehr. Um jede Verbindung Davids zum Königshaus abzuschneiden, setzt Saul sich über die Eheschließung seiner Tochter hinweg und gibt sie einem anderen Mann: Palti (oder: Paltiel) Ben-Lajisch aus Gallim (1.Sam. 25,44). Für den beginnt damit das Glück. Michal wird seine Frau. Dass sie vorher einem anderen gehörte, scheint seine Liebe nicht zu trüben.
Die folgenden Jahre sind ausgefüllt vom Ringen zwischen Saul und David. Saul weiß, dass er sein Königtum eigentlich schon verspielt hat. Der Prophet Samuel hat es ihm deutlich gesagt. David ist der kommende Herrscher, von Gott dazu bestimmt, aber Saul klammert sich, solange es geht, an der Macht fest. David verzichtet mehrfach auf die Möglichkeit, Saul zu beseitigen und mit Gewalt auf den Thron zu kommen. Er zieht umher, sammelt seine Gefolgschaft - und heiratet nacheinander zwei Frauen, Ahinoam und Abigajil. Völlig legitim war das damals für Männer, solange sie es sich finanziell leisten konnten, mehrere Ehefrauen zu versorgen. Nachdem David schließlich König über den Süden, über Juda, geworden ist, hat er es auf vier weitere Ehefrauen gebracht.
David holt sich seine Frau zurück
Allerdings ist die Herrschaft von David noch nicht abgesichert. Der Sohn des verstorbenen Saul ist König über die nördlich gelegenen Gebiete Israels, auch über den Stamm Benjamin, die Heimat Sauls. Bald aber verschiebt sich die Machtbalance. Der israelische König hat einen hohen Offizier, Abner. Der ist bereit, zu David überzulaufen und ihm so die Herrschaft über Israel zuzuspielen. Für David eine gute Gelegenheit. Er braucht aber noch eine weitere Säule, die seine Macht im Norden festigt. Eine Verbindung zur Dynastie Sauls, die er beerben will. Tja- war er denn eigentlich Sauls legitimer Schwiegersohn? Wenn er seine erste Ehefrau Michal wiederbekommen könnte, dann wäre das eine stabile Verknüpfung mit dem Stamm Benjamin und überhaupt den nördlichen Gebieten.
Gedacht, getan. Er fordert Michal für sich zurück. Der Sohn Sauls, noch König über Israel, in seiner Macht schon total geschwächt, gibt sie heraus. Einer muss dafür bezahlen: Palti Ben-Lajisch, der jetzige Ehemann von Michal.
Der Sohn Sauls "ließ.... Michal von ihrem Ehemann Paltiel, dem Sohn Lajischs, wegholen. Paltiel folgte ihr weinend bis nach Bahurim, dann sagte Abner zu ihm: ´Geh nach Hause!` Da erst kehrte Paltiel um" (2.Sam. 3,15-16)
David ist am Ziel. Er hat Michal wieder. Über ihr Empfinden wird mit keiner Silbe berichtet. Damals war sie in David verliebt - aber wie sieht das jetzt aus? Wie fühlt es sich an, wie eine Schachfigur auf dem Spielbrett verschoben zu werden? Man erfährt es nicht.
Doch über die Gefühle Paltis lässt der biblische Bericht keine Zweifel. Er ist ja noch weit mehr als Michal eine Nebenfigur. Saul hat ihn benutzt, um seine Tochter unterzubringen, nachdem er sie David wegnahm. Palti hat sie von Herzen lieb gewonnen, für ihn war die Ehe glücklich. Und nun nimmt David ihm diese Frau plötzlich weg. Über all diesem Hin und Her stehen Machtansprüche, Herrschaftsgesten, politisches Kalkül. Nun, das war damals eben so, auch bei Eheschließungen. Doch an dieser einen Stelle reißt der Bericht auf und legt die Gefühle eines Mannes frei, der die Frau hergeben muss, die er liebt. Er läuft dem Tross, den der Offizier anführt, weinend hinterher. Der Weg von seinem Dorf nach Gallim bis nach Bahurim, wo der Offizier ihn endlich kalt zurückschickt, ist ca. 17 Kilometer lang. Vier Stunden Fußweg für einen bitterlich weinenden Mann mit gebrochenem Herzen - und dasselbe noch einmal zurück in das jetzt leere Haus, in dem ihm von seiner Frau nur noch Kopfkissen und Erinnerung bleiben.
Tränen, gesammelt in Gottes Buch
"Sammle alle meine Tränen in deinem Krug. Du hast doch jede einzelne in deinem Buch festgehalten." Dies ist ein Gebet Davids (Psalm 56,9). Mehr noch als auf David passt es aber auf dem Mann, der von David in tiefe Trauer gestürzt wurde. Gott mag dessen Tränen nicht in einem Krug gesammelt haben - wohl aber in seinem Buch. Die Bibel erzählt von ihnen und hält den Namen dieses zutiefst verwundeten Mannes fest, bis heute. Gott interessiert sich nicht nur für die großen Linien der Macht. Nicht nur dafür, wie er seine Verheißungen verwirklichen kann, auch wenn Menschen wie Saul und sein Sohn sich ihnen entgegenstellen. Sondern Gott hat auch die scheinbaren Randfiguren im Blick und nimmt wahr, welches Leid sie zu tragen haben. Das Buch Gottes hat manchmal auch Raum für ihre Tränen.